Eine Reise für die Seele 2009

 

Heimatreise nach Groß Krössin  –  eine Reise für die Seele

04.- 08. Mai 2009

Am 4. Mai 2009 war es wieder so weit. Rudi Dorow (Jg. 1925) hatte eingeladen zur Fahrt in die alte Heimat. Und 33 Teilnehmer machten sich von Braunschweig, Berlin und dem Rastplatz an der polnischen Grenze auf den Weg ins Pommerland.

Das Besondere an der Zusammensetzung der Reisegruppe war das Alter. Die ältesten Teilnehmer waren Jg. 1925, der jüngste war Jahrgang 1984. Auch ich gehörte zu der Gruppe der jüngeren, ich wollte endlich die Heimat der Mutter und der Großeltern und den Ahnen erspüren, ihre Heimatorte sehen, auf dem Boden wandeln!

Nachdem wir bei Stettin die Grenze zu Polen überschritten hatten, änderte sich die Atmosphäre im Bus. Die anfängliche Wiedersehensfreude und der Austausch von Neuigkeiten wandelten sich in eine gespannte, erfreute Erwartungshaltung.

Der wahrlich perfekte Busfahrer der Firma FUMU aus Vechelde fuhr uns durch Stargard, Freienwalde, Wangerin, Dramburg, Falkenburg, Tempelburg zu unserem Quartier nach Bad Polzin, vorbei an Alleen und mit Maikraut bewachsenen Waldrändern.
Ca. 80 % der Flächen, durch die unser Weg führte, lagen brach oder waren von Menschenhand unberührt. Ich war erstaunt, da ich große Felder mit Kartoffelanbau und Getreide erwartet hatte. Die ersten Horste, von Störchen bewohnt, konnten wir bewundern.

Gegen 18 Uhr waren wir gut im Hotel ‚Polanin‘ in Bad Polzin angekommen. Neben schönen, sauberen Zimmern erwartete uns ein köstliches Abendessen. Ein erster Stadtrundgang erfolgte, bevor das Bett rief.

Am 5. Mai war es soweit.
Heute sollte es nach Groß Krössin gehen. Wie lange hatte ich auf diesen Tag gewartet und ihm entgegen gefiebert.
Endlich zu sehen, wo meine Vorfahren über drei Jahrhunderte gelebt hatten.

Wir nahmen auf Wunsch einen Umweg über Waldhof, Randen, Damen, Zadtkow, Petersdorf, Muttrin und Döbel. Hier sahen wir die große Fischfabrik Friedrich, die ein deutscher Rechtsanwalt vor Jahren dort gegründet und aufgebaut hat und überwiegend geräucherte Forellenfilets weltweit verkauft (in fast allen Märkten bei uns zu erwerben).

Am Wegesrand konnten wir Prachtexemplare von Kranichen bewundern, die auf den Feldern Rast eingelegt hatten, und natürlich die vielen, vielen Alleen.
Ich kannte sie aus den immer wieder kehrenden Gesprächen in der Familie, über die Landschaft „zuhause“.

Zunächst hielten wir in Balfanz, um einige Frauen in ihre alte Heimat zu entlassen. Sie kamen am Nachmittag nach Groß Krössin zu Fuß zurück gelaufen.

Und dann kam unsere Allee vor Groß Krössin, und im Bus begann das Leben und die Suche nach der alten Liebeseiche. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass gerade die Liebeseiche bei den Eltern eine geheimnisvolle Rolle gespielt hatte. Es wurde spürbar, dass viele Reisende wieder zu Hause waren, sich in die Kinder- und Jugendjahre zurückversetzt fühlten und voller Energie und Tatendrang waren.

Für mich war es bewegend und berührend, durch das Dorf der Ahnen zu fahren, das Dorf, das ich schon ein halbes Jahrhundert nur als ‚zu Hause‘ aus den Erzählungen kannte. Was würden wohl die Großeltern dazu sagen, wenn sie mich nun in ihrem ZUHAUSE sehen? Ihnen liefen vor Freude die Tränen und Opa Edmund Hackbarth wäre stolz und glücklich, dass sich ein Enkel für sein Leben interessiert.

Die Fahrt ging durch das große Dorf (früher etwa 1000 Einwohner) bis zum Bahnhof in Villnow. Er war auch der Bahnhof für die Groß Krössiner, früher wie heute. Wir wendeten am Bahnhof, und in Villnow stiegen einige Teilnehmer aus, um über das ehemalige Gut Karlshöh und Oberhof nach Groß Krössin zu laufen. Dabei war auch Martin, der jüngste Teilnehmer mit 24 Jahren. Seine Großmutter Ilse geb. Hackbarth hat auf Carlshöh ihre ersten Lebensjahre in ihrem Paradies verbracht. Ihr Vater, Groß- und Urgroßvater lebten auf diesem Gut. Ihr Opa August half in jungen Jahren, dem Besitzersohn Schultz bei der baulichen Erweiterung auf Carlshöh.

Im Dorf angekommen, zog es die Teilnehmer in alle Richtungen. Einige holten sich bei Marian, einem deutschen Übersetzer im Dorf, Fahrräder zur Dorferkundung. Andere gingen durch das Dorf, vorbei an Kirche, Friedhof und dem alten Forsthaus bis hin zur Persante. Dort ging es zur alten Badestelle, und fast alle hatten Erlebnisse aus Kindertagen von diesem Ort zu berichten.

Viel Kraft, Energie und Lebenslust war spürbar, es wurde viel erzählt – und manch eine Geschichte kannte ich aus den Erzählungen in meiner Familie.

Im Dorf wurden wir freundlich begrüßt. Einigen alten Männern begegneten wir öfter am Tage. Was erwarteten sie von uns? Die polnische Sprache war eine Barriere – wir konnten nicht danach fragen.
Am Nachmittag gab es bei Marian in der Garage geräucherte Forellen aus Döbel, und da es kalt und regnerisch wurde, auch einen Wodka dazu. Mit einem angemieteten Bus ging es wieder zurück nach Bad Polzin.

„Ich bin erleichtert, dass ich wieder hier bin, die ganze Umgebung wieder zu sehen, und die alten Wege wieder zu laufen. Wir haben so viel verloren. Die Häuser und die Bewohner heute sind mir nicht so wichtig. Kraft und Energie sammle ich, wenn ich einfach hier bin und in die Wälder gehen kann“; sagte mir eine Teilnehmerin.

 1. Wenn in stiller Stunde
Träume mich umwehn,
bringen frohe Kunde
Geister ungesehn,
reden von dem Lande
meiner Heimath mir:
hellem Meeresstrande,
düsterm Waldrevier.

Es ist eben ein tief berührendes ‚Wieder-nach-Hause-kommen‘, das meist mit der Landschaft, mit der Natur verbunden ist. Bei vielen Teilnehmern liegt Wehmut und auch Trauer in der Stimme. Es überwiegen allerdings immer wieder die Schilderungen der Erlebnisse vor vielen Jahrzehnten, ihrer Kindheit und Jugend hier in Hinterpommern.

 Aus der Ferne wendet
sich zu dir mein Sinn,
aus der Ferne sendet
trauten Gruß er hin:
Traget laue Winde
meinen Gruß und Sang,
wehet leis und linde
treuer Liebe Klang!

 

„Für mich sind die Fahrten nach Hause immer Fahrten für die Seele. Dort war doch meine Kindheit, und es steht jetzt nur noch ein alter Apfelbaum von früher. Mir geht es so ans Herz. Ich brauche nur die Umgebung, das Laufen zu all den Orten von früher. Für mich ist es immer eine Erholung, wenn ich zu Hause war!“ und Tränen von Trauer und Entlastung laufen. Berichtete eine Teilnehmerin mir.

Bist ja doch das eine
auf der ganzen Welt;
bist ja mein, ich deine,
treu dir zugesellt.
Kannst ja doch von allen,
die ich noch gesehn,
mir allein gefallen,
Pommerland so schön.

 

Noch viele Eindrücke könnte ich hier schildern, es würde allerdings ein Buch füllen.

 Denn es kamen natürlich auch die Erinnerungen an Flucht oder Vertreibung in Erinnerung und das große Leid, das vielen widerfahren ist. Es hat tiefe Wunden geschlagen. Die Wunden sind zwar verheilt, doch die Narben können ebensolche Schmerzen hin und wieder bereiten. Ich glaube, wenn wir uns diesem Schmerz immer wieder stellen und auch aussetzen, kann eine gute Narbenheilung wachsen. Es lohnt sich, wenn jeder, der diese Erfahrungen selbst hatte, gut daran tut, wenn er/sie diese eigenen Erlebnisse aufschreibt und somit auch den Nachkommen zur Verfügung stellt. Es ist  heilsam viele ALLE in der Familie.

Jetzt bin ich im Wandern,
bin bald hier, bald dort;
doch aus allen andern
treibt mich´s immer fort,
bis in dir ich wieder finde meine Ruh,
send ich meine Lieder
dir, o Heimath zu.

Am nächsten Tag ging es an die Ostsee. Kolberg stand auf dem Reiseplan. Trotz heftigem Wind und Regen gingen wir zum Strand und in die Altstadt.

Auf der Rückfahrt hielten wir in Köslin und konnten die schöne Innenstadt erkunden. Vorbei an weiten Wäldern mit Blaubeergrün ging es über Groß Tychow zurück ins Hotel. Hier wurden wir zu einem Violinkonzert erwartet. Ein großes Repertoire an Musik und Gesang unterhielt uns. Es wurde ein langer Abend in Geselligkeit.

Der vierte Tag begann mit der Fahrt nach Groß Krössin. Ein Fototermin vor der Kirche stand auf dem Plan.
Einige blieben danach dort, die anderen nahmen an einer Rundreise durch die Kaschubei teil. Ziel war Stolp und dann noch einmal die Ostsee bei Stolpmünde.

Der letzte Abend im Hotel begann mit einem Grill-Büfett und endete in einem langen, langen Abschiedsabend für viele TeilnehmerInnen.

In der Frühe des nächsten Tages begaben wir uns, gestärkt von einem leckeren Frühstück, hier und da mit Kater, auf die Reise zurück in die neue Heimat und in die Gegenwart.

Es waren für die Teilnehmer schöne und unvergessene Stunden in der Gemeinschaft der früheren Dorfbewohner. Für alle war es eine Reise zu den eigenen Wurzeln – und manch ein Beutel Heimaterde ging mit zurück.

 

Anna Herzog